
Insolvente Medigene: Ein Fünkchen Hoffnung?
Seit der Beantragung der Insolvenz Ende April tickt bei der traditionsreichen Martinsrieder Biotech-Firma Medigene AG die Uhr. Im Wettlauf gegen die Zeit bleiben insgesamt drei Monate, davon ist bereits die Hälfte verstrichen. Der vorläufige Insolvenzverwalter gibt sich professionell optimistisch, der Ausgang der Gespräche mit einigen Interessenten ist jedoch noch völlig offen.
Mit Einblicken in laufende Insolvenzverfahren ist es ein wenig wie mit dem Besuch bei einer Wahrsagerin. Man kann all dem Gesagten und Aufgezeigten blind vertrauen oder man war schon mit einem gerüttelt Maß an Skepsis in die Wahrsager-Sitzung gegangen und hält die schönen und wohlgesetzten Worte für nicht mehr als „viel heiße Luft um wenig“.
Richtiggehend etwas mitteilen darf so ein Insolvenzverwalter nämlich im laufenden Verfahren nicht, noch dazu, wenn es sich um eine börsennotierte Firma handelt, die, selbst wenn im Penny-Stock-Bereich angesiedelt, immer noch gut ist für wild ins Kraut schießende spekulative Handelsaktivitäten, wie man sie etwa beim Hype um die Gamestop-Aktie, ausgelöst von einigen Kommentaren auf der Reddit-Plattform, vor Augen geführt bekam.
So liefert das Gespräch mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Bierbach, aus der Anwaltssozietät Müller-Heydenreich, Bierbach und Kollegen keine faktischen Neuigkeiten, sondern vielmehr nur ein Bauchgefühl. Dieses besagt aktuell: ein Fünkchen Hoffnung besteht da noch bei Medigene. Der vorläufige Insolvenzverwalter arbeitet eng mit den Medigene-Beschäftigten zusammen, die in besonderem Maße die eigentlichen Hoffnungsträger sind und zum großen Teil bisher an Bord des schlingernden Schiffes blieben, bis die Zukunft klarer abzusehen sein wird.
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat dabei mindestens zwei Hauptaufgaben: einerseits die Weiterführung des Geschäftsbetriebes, so diese irgendwie realisierbar ist; und andererseits den Schutz der vorhandenen Gläubiger und damit der verfügbaren Insolvenzmasse, damit deren Forderungen bestmöglich bedient werden können. Dieser Balanceakt verlangt damit auch, dass mit der vorhandenen Insolvenzmasse an finanziellen Rücklagen (dem Vernehmen nach ein eher zweistelliger Millionenbetrag) sowie Sachwerten (den technologischen und wissenschaftlichen Assets) nicht leichtfertig umgegangen werden darf, da daraus im Worst-case-Szenario ja eventuell noch die Gläubiger abgefunden werden müssen (vertraglich verbundene Partner, Lieferanten, aber auch die Agentur für Arbeit, die als Trägerin der derzeit bezahlten Insolvenzgelder selbst zum Gläubiger wurde).
Die Hoffnung stirbt zuletzt
In dieser Situation kann die Rettung nur von außen kommen, und daran arbeiten derzeit in der Kanzlei und bei Medigene alle fieberhaft. Was hat Medigene zu bieten, nachdem das eingesetzte Geld zumindest nicht ausreichte, um die klinische Entwicklung mit der nötigen Geschwindigkeit ins Schaufenster der von Wettbewerbern besetzten Felder der T-Zell-Therapie zu setzen? Es ist einerseits die wohl umfangreichste Datenbank über humane T-Zell-Rezeptorsequenzen und sehr viel Datenmaterial sowie Know-how, aus den reinen Sequenzen auch funktionale T-Zell-Rezeptoren synthetisch herzustellen. Solche Rezeptorsequenzen sind eine Voraussetzung für alle Behandlungsansätze, die neue Krebsantigene als Zielstrukturen identifizieren und therapeutisch nutzen möchten – etwa auch im Rahmen der CAR-T-Zelltherapie. Andererseits beruht ein großer Teil dieses über mehr als ein Jahrzehnt aufgebauten Wissens – seit der strategischen Neuausrichtung des Unternehmens im Jahr 2013/2014 – auf der Expertise der Mitarbeiter.
Der reine Bauplan eines solchen Rezeptors kann ohne das Know-how dazu kaum von einem Dritten genutzt werden, was das theoretisch denkbare Auseinanderdividieren von Firmenbestandteilen an diverse Interessenten schwierig macht. Ob jemand zugreift, weil dieses Know-how im Insolvenzverfahren jedenfalls günstiger zu bekommen ist als in den Hochzeiten des Hypes um Zelltherapien in der Onkologie? Der Insolvenzverwalter sieht zumindest „Möglichkeiten“. Auch eine Umfirmierung sei eine dieser Möglichkeiten, wenn beispielsweise die Börsennotierung vom übernehmenden Interessenten nicht als das Allerwichtigste angesehen werden sollte. Zu Medigene haben viele Personen der kleinen Biotech-Gemeinde eine Beziehung – eine Meinung sowieso schon immer gehabt – und so hört man, dass einige der Ehemaligen interessiert in die Unterlagen zum Unternehmen blicken würden. Ob das nur Sentimentalität oder schlichte Neugierde ist, oder sich daraus noch ein handfesteres Interesse entwickelt, wird die nächste Zeit zeigen.
Für die Medigene-Mitarbeiter ist – nach der Schließung von Morphosys gleich um die Ecke – die Lage am Bewerbermarkt der Region nicht wirklich einfach. Vermutlich mit ein Grund, warum alle noch gemeinsam nach einer tragfähigen Zukunftslösung suchen. Die Uhr tickt.